Buch: Vergiftete Kindheit, von Susan Forward

VergifteteKindheitFür mich ist das Buch „Vergiftete Kindheit – Elterliche Macht und ihre Folgen“ von Susan Forward eine der besten Abhandlungen über elternverursachte kleine und große Traumata in der Kindheit und die Auswirkungen davon auf das Kind und dessen späteren Erwachsenenleben, und was wir als erwachsene Kinder gegen die Folgen tun können. Ich kann dieses Buch einfach jedem empfehlen. Lasst Euch von dem krassen Titel und Buchcover nicht abschrecken. Ich fürchte vielen Menschen sind der Schäden ihrer Kindheit überhaupt nicht bewusst. Dies ist schon schlimm genug, da die Unbewusstheit nicht vor dem Schaden schützt. Noch schlimmer jedoch ist, dass diese erwachsenen Kinder die gleiche Behandlung unbewusst an die nächste Generation weitergeben. Übrigens, dieses Buch ergänzt sich auch wunderbar mit Robert Betz Ansätze.

Die musikalische Untermalung für diesen Artikel ist hier zu finden.

Ich habe mir erlaubt, mir wichtig erscheinende Sätze mit dick hervorzuheben.

Was sind giftige Eltern?

Als erstes müssen wir klären, was der Begriff „vergiftet“ meint und ab welchem Punkt Eltern als giftig gelten. Was nämlich damit absolut nicht gemeint ist, dass Eltern perfekt sein müssen und keine Fehler machen dürfen. Sie sind auch nur Menschen. Hingegen sind giftige Eltern, so Forward, „Eltern, deren negative Verhaltensweise das Leben ihrer Kinder beherrschen, so daß Schäden entstehen. … Sie vergiften die Kindheit, und wie eine giftige Chemikalie verbreitet sich der emotionale Schaden, den diese Eltern zufügen, im Kind und wird mit der Zeit zum Schmerz. (Seite 15)“. Dabei ist es wie bei den Chemikalien, dass starke Stoffe bei einmaliger Verabreichung (z.B. bei einem schweren Vergehen wie sexueller Misshandlung) sofortigen dauerhaften Schaden zufügen und andere Ausprägungen (z.B. dem Kind keine Aufmerksamkeit oder Liebe schenken) über anhaltende Dauer zu ähnlich großen Schäden führen kann.

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, das giftige Eltern in der Regel selbst Kinder von ebenfalls giftigen Eltern waren und sich ihres schädlichen Verhaltens oft überhaupt nicht bewusst sind.

Forward schreibt, „Kinder haben unveräußerliche Grundrechte: ernährt, gekleidet, beschützt und versorgt zu werden. Doch neben diesen körperlichen Rechten haben sie ein Recht auf emotionale Zuwendung, Respekt für ihre Gefühle und eine Behandlung, die erlaubt, ein Gefühl für den eigenen Wert zu entwickeln. … [Sie haben] ein Recht darauf, Kinder zu sein… die frühen Jahre spielerisch, spontan und ohne die Last der Verantwortung zuzubringen (Seite 40)“.

Forward definiert hierzu Regeln, nach welchen die Verantwortlichkeiten der Eltern für eine angemessene Fürsorge festgelegt werden (Seite 41):

  1. Sie müssen für die körperliche Bedürfnisse des Kindes sorgen.
  2. Sie müssen das Kind vor körperlichen Schäden bewahren.
  3. Sie müssen die Bedürfnisse des Kindes nach Liebe, Beachtung und Zuwendung erfüllen.
  4. Sie müssen das Kind vor emotionalen Schäden bewahren.
  5. Sie müssen den Kindern moralische und ethische Leitlinien geben.

Laut Forward, „Giftige Eltern gelangen selten über die erste Forderung auf der Liste hinaus. Sie sind häufig selbst in ihrer emotionalen Stabilität oder geistigen Gesundheit eingeschränkt und stehen oft nicht zur Verfügung, um die Bedürfnisse der Kinder zu befriedigen. … in vielen Fällen erwarten oder fordern sie sogar, daß die Kinder die Bedürfnisse der Eltern erfüllen. (Seite 41)“.

An späterer Stelle schreibt Forward treffen, „In vielen Fällen hat sicher keine böse Absicht bestanden, aber auf eine Absicht zu spekulieren, ist Zeitverschwendung. Allein die Folgen zählen. Wenn unzulängliche Eltern Schaden zufügten, ist die Absicht unwichtig. Unzulängliche Eltern sind sowohl für das, was sie taten, als auch für das, was sie unterließen, verantwortlich. (Seite 212)“.

Die Schuld- und Verantwortungsfrage

An dieser Stelle mag der Einwand kommen, dass erwachsene Kinder selbst für ihr Leben verantwortlich sind und es keinen Sinn macht, mit dem Finger auf seine Eltern zu zeigen. Forward sagt dazu, „Unsinn. Ihre Eltern sind dafür verantwortlich, was sie ihnen antaten. Verantwortung für ihr Erwachsenenleben tragen natürlich Sie, aber dieses Leben wurde überwiegend durch Erfahrungen geprägt, über die Sie keine Kontrolle hatten. Tatsache ist: Sie sind nicht dafür verantwortlich, was man Ihnen als wehrloses Kind antat! Sind sind dafür verantwortlich, etwas dagegen zu tun! (Seite 20)“.

Diese Verantwortung als Erwachsener zu übernehmen, wird durch viele Faktoren erschwert. Viele Betroffen sind sich dem Ausmaß ihres Mißhandlung nicht bewusst oder spielen es herunter. Viele Mißhandlungen, weil sie so schlimm waren, werden manchmal vollständig verdrängt. Ebenso, giftige Eltern agieren oft aus dem Schatten, indirekt und manipulativ. Ihr giftiges Verhalten ist dem erwachsenen Kind oft gar nicht bewusst, selbst wenn der Erwachsene womöglich sein ganzes Leben schwer an den Folgen leidet. Für ein Kind sind die Eltern wie Götter, die alles richtig tun, selbst wenn dies nicht so ist. Jeder Fehler der Eltern zieht das Kind auf seine eigene Kappe und gibt sich selbst die Schuld dafür. Schuldgefühle und das Selbstwertgefühl sind zentrale und stets wiederkehrende Themen im Buch. Und diese Gefühle sitzen tief, auch noch als Erwachsener. Und zu guter Letzt hofft das Kind ein Leben lang doch noch auf die Anerkennung von den Eltern und dass sich die giftigen Eltern wandeln – ein meist hoffnungsloses Ausharren und Festhalten.

Forward hat am Anfang des Buches einen einfachen Fragenkatalog definiert (Seite 17+18), der hilft um festzustellen, ob man unter giftigen Eltern gelitten hat/leidet oder nicht.

Das Aufbrechen der Verstrickungen mit den Eltern ist von größter Wichtigkeit – für das eigene seelische Wohl und die körperliche Gesundheit, aber auch für die darauf folgenden Generationen. Wenn die Verstrickungen nicht aufgebrochen werden, wird das Gift unbewusst an die nächste Generation weitergegeben. Wie bereits erwähnt: giftige Eltern waren zuvor Kinder von wiederrum giftigen Eltern. Und dieses Familienerbe wird solange weitergegeben bis der Kreislauf durchbrochen wird. Die meisten Menschen sind sich nicht bewusst, dass sogar ihre Partnerwahl in einigen Fällen von den Einflüssen ihrer Eltern/Kindheit geprägt ist und sich das Drama in der eigenen, neuen Familie vorsetzt und auf andere multipliziert (z.B. siehe Alkoholiker).

Du musst Dir im Klaren sein: wenn DU die Verstrickung nicht durchtrennst, wird es niemand tun. Viele Menschen tragen ihre Verstrickungen mit ins Grab (nachdem sie sie zuvor an die nächste Generation weitergegeben haben). Es ist auch wichtig sich bewusst zu machen und der Tatsache ins Auge zu schauen, dass Eltern leider auch nach ihrem Tod ihren starken Einfluss in keinster Weise einbüßen. Die Verstrickungen mit den Eltern leben im Kopf des erwachsenen Kindes weiter und verbreiten nach wie vor ihr Gift – solange, bis diese Verstrickungen aufgedeckt werden.

Das Buch ist in zwei Teile unterteilt. Im ersten Teil werden die Arten von giftigen Eltern und die Folgen davon für das Kind und den späteren Erwachsenen erklärt. Im zweiten Teil werden Ansätze aufgezeigt, wie man sich von diesem Vermächtnis befreien kann.

Arten von giftigen Eltern

Forward geht nach den einführenden Kapiteln im Einzelnen auf die verschiedenen Arten von giftiger Eltern ein, deren schädlichen Verhaltsweisen und welche Auswirkungen diese auf das Kind und den späteren Erwachsenen haben.

  1. Kontrolleure und Manipulatoren: Forward, „Alle Eltern kontrollieren ihre Kinder, bis diese die Kontrolle über das eigene Leben erringen. In normalen Familien geschieht dieser Übergang kurz nach der Adoleszenz. In giftigen Familien verzögert sich diese gesunde Trennung um Jahre – oder auf immer. (Seite 77)“. Untern dem Deckmantel “ ich mach das ja nur aus Liebe/Sorge und weil ich das Beste für Dich will“ kontrollieren diese Eltern ihre Kinder ein Leben lang. Das Kind wird durch Schuldgefühle versklavt. Die Antriebe der Eltern hierfür sind jedoch selbstsüchtig und schaden dem Kind (auch wenn dies den Eltern oft nicht bewusst ist). Die Motivation dieser Eltern für solch ein Verhalten kann sehr unterschiedlich sein. Beispiele: eine innere Leere, die mit den Kindern aufgefüllt wird; krankhafte Selbstzentriertheit; tiefsitzende zerstörerische Glaubenssätze; mangelnde Selbstliebe; Herrschsucht. „Diese Eltern haben eine ungesunde Angst vor dem ‚leeren Nest’… Die Identität kontrollierender Eltern ist so stark mit der elterlichen Rolle verbunden, daß sie sich verlassen und verraten fühlen, wenn das Kind unabhängig wird. (Seite 57)“. Gegenüber den Kontrolleuren, gehen die Manipulatoren verdeckter aber mit gleichen Absichten vor. Das Auslösen von Schuld- und Unterlegenheitsgefühlen ist dabei das Hauptdruckmittel, welches zum Einsatz kommt. „… wenn Manipulation zu einem Instrument ständiger Kontrolle wird, kann sie extrem destruktiv wirken, besonders in einer Eltern-Kind-Beziehung. Da manipulative Eltern sehr geschickt ihre wahren Motive verbergen, leben ihre Kinder in ständiger Verwirrung. … Einer der häufigsten Typen giftiger Manipulatoren ist der ‚Helfer‘. Statt ein Kind loszulassen, schafft der Helfer im Leben des nun Erwachsenen immer wieder Situationen, in denen sie oder er gebraucht werden. Diese Manipulation kommt oft in Form gutgemeinter, aber unerwünschter Hilfe. (Seite 65)“. Eli, ein Patient von Forward, sagt frustriert, „Ich spiele in meinem eigenen Leben nur eine Nebenrolle. (Seite 72)“. Selbst wenn ein Kind/Erwachsener auf diese Kontrolle mit Rebellion antwortet, ist es nicht frei in seinem Handeln, da es sich geleitet von den Eltern verhält, nur eben spiegelbildlich, aber keineswegs frei.
  2. Alkoholiker: Zentrale Themen in der Alkoholiker-Familie sind die Verleugnung, dass es überhaupt eine Sucht und ein Problem gibt, und die Koabhängigkeit des Ehepartners, welcher indirekt und unbewusst am Bestehen des Problems mitwirkt (trotz seines bewussten Bemühens gegen die Sucht). Häufig zieht es Kinder aus solchen Familien später zu einem alkoholabhängigen Partner oder Partner mit schädlichen Verhalten, da das erwachsene Kind mit solchen Situation vertraut ist. Forward, „Viele Kinder von Alkoholikern entwickeln eine hohe Toleranzschwelle für nichtakzeptables Verhalten [anderer]. … So stellt [sich] eine psychologische Verbindung zwischen Liebe und Mißhandlung her. [Man glaubt] bald, daß man das eine nicht ohne das andere bekommt. (Seite 87)“. Desweiteren, „Da sie in der ersten und wichtigsten Beziehung lernten, daß die Menschen, die sie lieben, ihnen weh tun und schrecklich unberechenbar sein können, haben die meisten Kinder alkoholsüchtiger Eltern große Angst, anderen nahezukommen. (Seite 88)“. Die durch übermäßigen Alkoholkonsum auftretenden Folgen sind oft in der 4. Kategorie von giftigen Eltern wiederzufinden – körperlichen Mißhandlungen.
  3. Verbale Mißhandlung: Bei verbalen Mißhandlungen handelt es sich um innerliche Verletzungen, welche nicht direkt sichtbar sind und auf verschiedene Weisen zugeführt werden können. Forward, „[Man kann verbale Mißhandler] in zwei deutlich unterschiedene Gruppen einteilen. Manche greifen offen, direkt, gemein und degradierend an. Sie nennen die Kinder dumm, wertlos oder häßlich. … Andere verbale Mißhandler gehen indirekt vor und setzen das Kind einem beständigen Trommelfeuer von Neckereien, Sarkasmen, beleidigenden Spitznamen und subtilen Abwertungen aus. Diese Eltern verbergen ihre Mißhandlung zuweilen hinter einer Maske aus Humor. (Seite 101) … Wir alle haben schon einen Witz auf Kosten eines anderen gemacht. Meistens handelt es sich um harmlose Scherze. Doch wie andere Formen giftigen Elternverhaltens entarten diese Witze durch Häufigkeit und Grausamkeit … (Seite 102)“. Ebenso kann ständige Kritik unter dem Vorwand, man meine es ja nur gut, verkleidet werden. „Derart offene verbale Mißhandlung kann sich ins Selbstbewußtsein eines Kindes eingraben wie ein Brandzeichen und tiefe seelische Narben hinterlassen. (Seite 108)“. Es kann auch zu einem unbewussten Konkurrenzdenken bei Eltern zu ihren Kindern kommen, welche dann in erniedrigende Behandlungen münden, damit sich die Eltern besser fühlen. Forward, „Gesunde Eltern erleben die Entwicklung ihrer Kinder mit Aufregung und Freunde. Rivalisierend Eltern hingegen fühlen sich oft ängstlich und verbittert. Die meisten rivalisierenden Eltern sind sich der Gründe für diese Gefühle nicht bewußt, aber sie wissen, daß das Kind sie auslöst.(Seite 106) … Trotz allem, was revalisierende Eltern für ihre Kinder zu wünschen behaupten, verfolgen sie einen verborgenen Plan, dafür zu sorgen, daß ihre Kinder sie nicht übertreffen. (Seite 107)“. Für die erwachsenen Kinder hat dies schwere Folgen. „Da diese Botschaften sich tief eingeprägt hat, erleben erwachsene Kinder von rivalisierenden Eltern, wenn sie sich wirklich in etwas auszeichnen, ungeheure Schuldgefühle. … Sie kontrollieren ihre Schuld, indem sie sich begrenzen, um die Eltern nicht zu übertreffen. (Seite 107)“. Natürlich alles unbewusst. Eine letzte Kategorie sind die perfektionistischen Eltern. Forward, „Die unmöglichen Erwartungen an Kinder, perfekt zu sein, ist häufig Auslöser für verbale Mißhandlungen. Viele verbal mißhandelnde Eltern sind selbst sehr erfolgreich, doch allzuoft ist ihr Zuhause der Ablageplatz für beruflicher Stress. … Perfektionistische Eltern handeln aufgrund der Illusion, wenn sie ihre Kinder perfekt hinbekämen, wären sie eine perfekte Familie. … Kinder müssen Fehler machen, um herauszufinden, daß dies nicht das Ende der Welt bedeutet. Nur so gewinnen sie das Selbstbewußtsein, neue Dinge im Leben auszuprobieren. Giftige Eltern setzen den Kindern unerreichbare Ziele und sind fortwährend ändernde Regeln. Sie erwarten, daß die Kinder mit einer Reife darauf reagieren, die nur aus langer Lebenserfahrung stammen kann, die einem Kind natürlich nicht zur Verfügung steht. Kinder sind keine Miniaturerwachsene, aber giftige Eltern erwarten von ihnen, daß sie sich so verhalten (Seite 112)“.
  4. Körperliche Mißhandlung: Die Meinungen darüber, welche Maßnahmen legitime Erziehungsmethoden darstellen und ab wann körperliche Züchtigung eine Mißhandlung darstellt, variieren. Forward, durch ihre jahrzehntelange Erfahrung als Therapeutin, hat deshalb ihre eigene Definition von körperlicher Mißhandlung: „Jedes Verhalten, das eindeutig körperliche Schmerzen verursacht, ob es nun Spuren hinterläßt oder nicht, ist eine Mißhandlung (Seite 120)“. Über die Ursachen für die körperliche Mißhandlungen durch die Eltern schreibt Forward: „Die meisten Menschen mit Kindern verspüren ab und zu das Bedürfnis, sie zu schlagen. … Manchmal hat es jedoch weniger mit dem Verhalten des Kindes zu tun als mit der eigenen Erschöpfung, mit Angst oder Unglück. … Körperlich mißhandelnde Eltern greifen ihre Kinder immer an, wenn sie starke negative Gefühle empfinden, die sie loswerden müssen. … Es ist bei ihnen eine fast automatische Reaktion auf Streß. … Körperliche Mißhandler stammen oft selbst aus Familie, in denen Mißhandlungen an der Tagesordnung waren. Ein Großteil ihres Erwachsenenverhaltens ist die direkte Wiederholung dessen, was sie in der Kindheit erfuhren und lernten. … Gewalt war das einzige Instrument, mit Problemen und Gefühlen, besonders Wut, fertig zu werden. … Viele körperlich mißhandeltende Eltern beginnen ihr Erwachsenleben mit einem ungeheuren emotionalen Defizit und unerfüllten Bedürfnissen. Emotional gesehen sind sie immer noch Kinder. Sie betrachten ihre eigenen Kinder oft als Ersatzeltern, die ihre emotionalen Bedürfnisse erfüllen sollen, die die eigenen Eltern nie erfüllten. Der Mißhandler gerät vor Wut außer sich, wenn sein Kind diese Bedürfnisse nicht befriedigen kann. … Viele dieser Eltern haben Probleme mit Alkohol oder anderen Drogen. Drogenmißbrauch ist ein häufiger Auslöser für das Versagen der Impluskontrolle, wenngleich keinesweg der einzige. (Seite 121)“. Das verwirrende und belastende für Kinder bei der Mißhandlung ist oft die scheinbare Unberechenbarkeit und fehlende/unlogische Begründung/Rechtfertigung für die Schläge. Das sich in diesem Umfeld keine innere Sicherheit und innere Stärke im Kind heranbilden kann, ist leicht nachvollziehbar. Eine andere Folge der körperlichen Mißhandlung ist Wut. Forward, „In mißhandelten Kindern tobt ein Kessel heißer Wut. Man kann sich nicht schlagen, demütigen, erschrecken, erniedrigen und für das eigene Leid beschuldigen lassen, ohne wütend zu werden. Aber ein mißhandeltes Kind hat keine Möglichkeit, diese Wut loszuwerden. Beim Erwachsenen sucht sie dann nach einem Ausweg. (Seite 135)“. Oft sind das leider die eigenen Kinder. „In anderen Extremfällen kann sich unterdrückte Wut als gewalttätiges, kriminelles Verhalten äußern, als Schlagen von Frauen, Vergewaltigung oder Mord. Unsere Gefängnisse sind voll von Erwachsenen, die als Kinder körperlich mißhandelt wurden und nie lernten, ihre Wut angemessen auszudrücken. (Seite 136)“. In anderen Fällen, wenn die Wut keinen anderen Ausweg gefunden hat, manifestiert sie sich in körperlichen Symptomen und Erkrankungen. Kopfschmerzen, Magenprobleme und Depressionen fallen in diese Kategorie.
  5. Sexueller Mißbrauch: Forward schreibt, „Inzest ist vielleicht die grausamste und verstörendste menschliche Erfahrung. Es handelt sich um den Verrat des grundsätzlichen Vertrauens zwischen Kind und Eltern. Inzest wirkt emotional vernichtend. Die jungen Opfer sind von den Tätern völlig abhängig und haben niemanden und nichts, wohin sie flüchten können. … Inzest vernichtet den Kern der Kindheit, ihre Unschuld. (Seite 138)“. Sexueller Mißbrauch scheint zunächst eine eindeutige Angelegenheit zu sein, jedoch ist die rechtliche und sachliche Definition nicht so einfach. Es gibt viele verschiedene Stufen der sexuellen Mißhandlung: Vergewaltigung, unangebrachtes Berühren des Kindes, das Kind zu unangebrachten Berührungen des Erwachsenen zwingen, anzügliches Anschauen, Fotografieren, heimliches Beobachten, verbale Anmache. Forward, welche sich im Thema sexuellen Mißbrauchs spezialisiert hat, räumt mit den vorherrschenden Mythen auf: Inzest ist nicht selten und kommt in allen sozialen Schichten vor. Sexuell mißhandelte Kinder werden vom Täter zum Schweigen gezwungen, unter Androhung der schlimmsten Dinge (Schläge, Ermordung, „Wenn Du etwas sagst, geben wir Dich in ein Heim“). Das Kind hat sowieso Schwierigkeit überhaupt über die Tat zu sprechen; es fühlt sich schmutzig und schuldig. Ergebnis: 90% der Inzestopfer bleiben ihr Leben lang stumm. Und wenn sie aussprechen, dann werden sie nicht immer ernstgenommen. Forward, „Inzestopfer haben häufig nur eine Möglichkeit, die frühen Traumata zu überleben, indem sie eine psychologische Barriere errichten und die Erinnerungen daran so weit wie möglich aus dem Bewußtsein verdrängen, damit sie jahrelang, wenn überhaupt, nicht mehr auftauchen. Oft aber gelangen die Erinnerungen unerwartet wieder an die Oberfläche, besonders bei bestimmten Ereignissen. (Seite 151)“. Inzestopfer sind als Erwachsene oft nicht in der Lage eine gesunde Beziehung zu einem anderen Menschen zu führen. Sexualität ist für sie für lange Zeit (oder dauerhaft völlig) zerstört. Forward, „[Sie tragen] starke Gefühle der Hoffnungslosigkeit, Minderwertigkeit, Wertlosigkeit und Schlechtigkeit mit sich herum. (Seite 158)“.

Eltern müssen nicht aktiv agieren um Schaden an den Kindern auszurichten. Auch Eltern die nur passiv, schwach oder überhaupt nicht ihrer Fürsorge nachkommen, z.B. die Mutter die danebensteht und wegschaut wenn der Ehemann die Kinder verprügelt oder vergewaltigt, fügt dem Kind dadurch ebenso einen dauerhaften Schaden und Vertrauensbruch bei, selbst wenn sie sich anschliessend reuig um das Kind kümmert. Das Kind wird sich ein Leben lang fragen, warum seine eigene Mutter im entscheidenden Moment nicht zu ihm gestanden und ihn vor dem Leid beschützt hat. Aus diesem Grund wird dieser Elternteil als „passiver Mißhandler“ bezeichnet. Dieses schädliche Verhalten ist genausowenig entschuldbar wie das vom aktiven Mißhandler (z.B. „die arme Frau konnte nicht anders“ oder „was hätte sie denn tun sollen?“).

Auch abwesende Eltern hinterlassen ihre Spuren bei einem Kind. Wenn ein Kind kein Vater hat oder der Vater die Familie in der Kindheit verlässt, hat dies großen Einfluss auf das Kind und den späteren Erwachsenen.

Das Familiensystem

Das Familiensystem, bestehend aus den verschiedenen Familienmitgliedern, arbeitet in der Regel unbewusst als Gesamtsystem zusammen und erhält den giftigen Status Quo der Familie, das etablierte Gleichgewicht, und zwingt andere Familienmitgliedern zur Kooperation. Forward, „Das Wort ‚Gleichgewicht‘ klingt nach Gelassenheit und Ordnung. In einem giftigen Familiensystem jedoch ist die Aufrechterhaltung des Gleichgewichts ein hochempfindlicher Drahtseilakt. In solchen Familien ist Chaos Normalität und das einzige, worauf man sich verlassen kann. Alle giftigen Verhaltensweisen … dienen dazu, dieses empfindliche Familiengleichgewicht aufrechtzuerhalten. (Seite 173+174) … Giftige Eltern … reagieren auf die Bedrohung ihres Gleichgewichts, indem sie ihre Ängste und Frustrationen ausagieren, ohne viel an die Folgen für ihre Kinder zu denken. Ihre Bewältigungsmechanismen sind starr und vertraut. (Seite 175+176)“. Dazu gehören: Verleugnung, Projektion, Sabotage, Triangulation (ein Elternteil verbündet sich mit dem Kind gegen einen anderen Elternteil), Geheimnisse.

Dieses Familiensystem kann sich auch generationenübergreifend erstrecken.

Das Verstehen dieses Familiensystems ist sehr wichtig, wenn man sich selbst (man ist ja Teil davon), die Familie, das eigene Verhalten und Verhalten der anderen verstehen will. Alle im System agieren aus fest etablierten Glaubenssätzen und Regeln, manche explizit und offensichtlich definiert, andere sind unausgesprochen und teilweise oder vollständig unbewusst – nichtsdestotrotz leiten sie unser tägliches Handeln und Fühlen. Selbstzerstörerische und negative Glaubenssätze müssen erst bewusst gemacht werden bevor man sie ändern kann. Dies ist aber gar nicht so einfach. Forward, „Leider drängt uns unser Unbewußtes, zu gehorchen, und verdrängt unsere bewußten Bedürfnisse und Wünsche. Wir können destruktive Regeln nur verwerfen, indem wir das Unbewußte erhellen und diese Regeln ans Licht bringen. Erst, wenn wir diese Regeln deutlich erkennen, können wir uns frei entscheiden. … Gesunde Familien fördern Individualität, persönliche Verantwortung und Unabhängigkeit. … Ungesunde Familien verhindern jede individuellen Ausdruck. Alle müssen sich den Gedanken und Handlungen der giftigen Eltern unterwerfen. Sie verlangen Verschmelzung, ein Verschwimmen der persönlichen Grenzen. Auf unbewußter Ebene können die Familienmitglieder nur schwer erkennen, wo der eine endet und der andere beginnt. (Seite 171)“. Und wie bereits erwähnt, zwingen auch andere Familienmitglieder, nicht nur die Eltern, jeden Abweichler wieder zurück in die Reihe. Anders-sein wird mit einem Gefühl des schlecht- oder falsch-seins bestraft.

Der Ausweg

Forward, Begreifen ist der Beginn von Veränderung. Es öffnet neue Wahlmöglichkeiten und Entscheidungsfreiheit. Aber die Dinge in anderem Licht sehen, reicht nicht aus. Echte Freiheit entstammt nur verändertem Handeln. (Seite 177)“. Forward geht im zweiten Teil des Buches, der rund die Hälfte des Buches ausmacht, nun auf die Möglichkeiten ein, sich von einem giftigen Verhalten und Glauben zu befreien. Einer ihrer ersten und überraschensten Aussagen ist, Es ist nicht notwendig, Ihren Eltern zu vergeben, um sich besser zu fühlen und Ihr Leben zu ändern! (Seite 182)“. Dies steht der allgemeingültigen Meinung gegenläufig. Sie argumentiert jedoch überzeugend und belegt dies mit jahrzehnten therapeutischer Arbeit. Forward, „… diese Vergebung nur eine andere Form der Verleugnung darstellt. ‚Wenn ich Dir vergebe, können wir so tun, als ob das, was geschah, nicht so schrecklich gewesen sei.‘ (Seite 183) … Manche erleben eine Phase des Wohlbefindens, die jedoch nicht andauerte, weil sich weder ihre Gefühle noch die Interaktionen ihrer Familie wirklich verändert hatten. (Seite 184)“. Diese Art der Vergebung ist sogar hinderlich, weil es verhindert, dass man die angestaute Wut rauslassen kann – schliesslich hat man ja schön vergeben, dann darf man auch nicht mehr wütend sein, gell? Forward, „Man kann giftigen Eltern vergeben, aber besser am Ende, nicht am Beginn des emotionalen Hausputzes. Man muß wütend werden über das, was mit einem geschehen ist. Man muß über die Tatsache trauern, daß man nie die elterliche Liebe empfing, die man sich wünschte. Man muß aufhören, den Schaden zu beschönigen oder zu ignorieren, der einem zugefügt wurde. (Seite 185)“.

Als nächstes sagt Forward, „Wie wir sahen, sind Überzeugungen tiefverwurzelte Einstellungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen über Menschen, Beziehungen und Moral. Ehe Sie irgendeinen Prozeß der Reife und der Veränderung beginnen, müssen Sie sich zunächst der Verbindung zwischen falschen Überzeugungen, negativen Gefühlen und selbstzerstörerischen Verhaltensweisen bewußt werden. (Seite 188) … Selbstzerstörerische Überzeugungen führen immer zu schmerzlichen Gefühlen. Wenn Sie Ihre Gefühle untersuchen, erkennen Sie allmählich Ihre ursprünglichen Überzeugungen und die daraus resultierenden Verhaltensweisen. (Seite 190) … Viele Leute finden ohne Therapie einfach keinen Zugang zu ihren Gefühlen. Ihre Gefühle sind aber nicht verloren, sondern nur fehlgeleitet. … Es ist sehr wichtig, langsam vorzugehen, wenn Sie einigen Ihrer blockierten Gefühle erlauben, an die Oberfläche zu treten. … Um Ihnen zu helfen, sich auf Ihre Gefühle zu konzentrieren, habe ich sie in vier Gruppen unterteilt: Schuld, Angst, Trauer und Wut. (Seite 192) … Wenn Sie Ihr Verhalten ändern wollen, müssen Sie die ganze Gleichung durcharbeiten und Ihre Überzeugungen und Gefühle ändern, um die Regeln zu ändern. (Seite 195)“. Ab Kapitel 12 (Seite 218) geht Forward ausführlich auf den konstruktiven Umgang mit Wut und Trauer ein. Dies kann ich in diesem Artikel nicht angemessen wiedergeben, daher verweise ich Dich, mein lieber interessierter Leser, auf das Buch.

Ein wichtiger Bestandteil des Gesundungsprozesses ist das erlangen einer emotionalen Unabhängigkeit, was Forward „Selbstdefinition“ nennt. Forward, „Wenn Sie sich frei genug fühlen, eigene Überzeugungen, Gefühle und Verhaltensweisen zu vertreten, die von denen Ihrer Eltern oder anderen abweichen, sind sie ’selbstdefiniert‘. … Niemand kann unausgesetzt selbstdefiniert sein. Jeder ist Mitglied einer größeren Gesellschaft. …Aus diesem Grund muß Selbstdefinition flexibel sein. Es ist nicht falsch, mit den Eltern Kompromisse zu schließen, solange Sie sich aus freiem Willen entscheiden. Ich spreche hier von der Aufrechterhaltung Ihrer emotionalen Integrität, dem ’sich selbst treu sein‘. Viele Menschen treten nicht für sich ein, weil sie Selbstdefinition mit Egoismus verwechseln. (Seite 198+199) „.

Forward hat in diesem Zusammenhang den Begriff „Rückkopplung“ eingeführt. Es bezeichnet automatisches Verhalten, abhängig von der Reaktion von anderen. „Diese Reaktion erfolgt meistens ohne nachzudenken, ohne zuzuhören und ohne andere Möglichkeiten zu erforschen. Die Rückkopplung ist immer am stärksten, wenn man sich emotional bedroht oder angegriffen fühlt. Diese Rückkopplung kann sich in fast allen Beziehungen abspielen – mit einem Liebhaber, einem Vorgesetzten, einem Freund, aber am intensivsten wohl mit den Eltern. … Wenn Sie Ihren emotionalen Reaktionen erlauben, automatisch abzulaufen, geben Sie die Kontrolle auf… Dadurch verleihen Sie anderen enorme Macht über sich. (Seite 201)“. Als Gegenmittel sieht Forward hierfür die Verantwortung. „Das Gegenteil von Rückkopplung ist Verantwortung. Man handelt verantwortlich, wenn man sowohl denkt als auch fühlt. Man ist sich seiner Gefühle bewußt, läßt sich aber von ihnen nicht zu implusiven Handlungen treiben. Indem man verantwortlich handelt, erlaubt man sich auch, trotz allem, was die Eltern vielleicht sagen, ein Gefühl von Selbstachtung zu bewahren, und das ist extrem befriedigend. Die Gedanken und Gefühle anderer ziehen Sie nicht mehr in eine Strudel von Selbstzweifel. Sie erkennen alle möglichen Optionen und Wahlmöglichkeiten… Durch Verantwortung erlangen Sie ein Gutteil Kontrolle über Ihr Leben wieder. (Seite 202) … Ich verstehe Entscheidungsfreiheit als Schlüssel zur Selbstdefinition. … Fehlende Wahlmöglichkeit sind direkt mit Verstrickung verbunden. (Seite 206).“ Es kommt uns zugute, dass wir nun Erwachsen sind. Sie sind erwachsen und können Unbehagen aushalten, um zu einem selbständigen Menschen zu werden. (Seite 207)“.

In Kapitel 13 (Seite 227) sieht Forward die Konfrontation der Eltern als einen der letzten Schritte des Reifeprozesses. „Konfrontation bedeutet, Ihre Eltern überlegt und mutig über die schmerzliche Vergangenheit und schwierige Gegenwart zu befragen. Es ist eine der angstbeladensten und zugleich bestärkendsten Handlungen, die Sie jemals vollziehen werden. (Seite 227)“. Warum dies so wichtig ist, wie man sich darauf vorbereitet, wie man es durchführt und wie man mit den möglichen Reaktionen umgeht, erklärt Forward ausführlich. Dies angemessen hier dazustellen, würde diesen Artikel gut verdoppeln, daher muss ich den interessierten Leser wieder auf das Buch verweisen. Schließlich braucht Ihr ja auch noch einen Grund, Euch das Buch zu kaufen, oder? 🙂 Eine gute Nachricht sei vorweggenommen: diese Aufarbeitung und Befreiung kann auch noch nach dem Tod der Eltern, oder bei deren Abweisenheit, durchgeführt werden.

In Kapitel 14 (Seite 264) geht Forward auf die Heilung von Inzestwunden ein. Da dies die schwersten und tiefsten Verletztungen erzeugt, ist der Heilungsprozess teilweise anders. Ich verweise auch hier den interessierten Leser auf das Buch.

Im Epilog geht Forward noch auf ein paar grundlegende, abschliessende Dinge ein. „ein Spiel … das so viele Menschen immer noch spielen: der Versuch, giftige Eltern zur Änderung zu zwingen. Wir geben uns Mühe, alles mögliche zu tun, um sie zu liebevollen Eltern zu machen. Dieser Kampf verbraucht all unsere Energie und bringt eine Menge Aufregung und Leid mit sich. Und er ist vergeblich. Man kann ihn nur gewinnen, wenn man nicht mitspielt. (Seite 305)“. Eine von Forward’s Patientinnen hat es so formuliert: „Sie geben oder entziehen ihre Liebe, je nachdem, ob sie mich für ein braves Kind halten oder nicht. Ich weiß, daß sich das nicht mehr ändert. Sie sind, wie sie sind, und ich habe Besseres zu tun, als ständig zu versuchen, sie anders zu machen. (Seite 306)“.

Ebenso wichtig, Sie verhalten sich vielleicht weiterhin so wie ein kleines und hilfloses Kind, weil Sie darauf warten, daß Ihnen die Eltern die Erlaubnis geben, erwachsen zu werden. Aber diese Erlaubnis erteilen Sie selbst, nicht Ihre Eltern. Wenn Sie den Kampf einfach nicht mehr fortsetzen, werden Sie merken, daß Sie Ihr Leben nicht länger sabotieren. (Seite 308)“.

Zur Liebe schreibt Forward, „Die meisten erwachsenen Kinder giftiger Eltern sind sich sehr unsicher, was Liebe bedeutet und wie man sich dabei fühlt. Ihre Eltern taten ihnen im Namen der Liebe sehr lieblose Dinge an. Sie verstanden daher Liebe als etwas Chaotisches, Dramatisches, Verwirrendes und oft Schmerzliches … Wenn Sie begriffen haben, was Liebe ist, gelangen Sie vielleicht zu der Erkenntnis, daß Ihre Eltern nicht wissen konnten oder wollten, was Lieben ist. Das ist eine der traurigsten Wahrheiten, die Sie akzeptieren müssen. Aber wenn Sie die Grenzen Ihrer Eltern deutlich erkennen und akzeptieren, ebenso die dadurch erlittenen Verluste, öffnen Sie Ihr Leben für Menschen, die Sie auf die Weise lieben, die Sie verdienen – nämlich echt. (Seite 308+309)“.

Über Selbstvertrauen und den anstehenden Veränderungsprozess schreibt sie, „Als Kind nahmen Sie wie alle Kinder die Bestätigung oder Mißbilligung Ihrer Eltern als Maßstab dafür, ob Sie gut oder schlecht waren. Da die Anerkennung von giftigen Eltern so verzerrt ist, bedeutet dieser Maßstab oft, die eigene Version der Realität aufzugeben … Wenn Sie jedoch nach dem Durcharbeiten dieses Buches die Grundlage Ihres Maßstabs von den Eltern auf sich selbst verlagern, lernen Sie wieder, der eigenen Wahrnehmung der Realität zu vertrauen. … Je selbstdefinierter und unabhängiger Sie werden, desto weniger wird Ihren Eltern das behagen. Denken Sie immer daran, daß giftige Eltern sich durch Veränderungen bedroht fühlen und oft die letzten Menschen in der Welt sind, die Ihr neues, gesünderes Verhalten akzeptieren. Daher ist es so wichtig, den eigenen Gefühlen und Wahrnehmungen zu trauen. (Seite 309)“.

Wir müssen mit viel Geduld uns auf diesen langen und schwierigen aber wichtigen Weg machen. Was wir in der Kindheit gelernt haben, sitzt sehr sehr tief und fest in uns und wir haben viele Jahrzehnte auf diese Weise gelebt. Wir dürfen nicht zu viel in kurzer Zeit von uns selbst erwarten. Forward, „Das wäre so, als würde man von Ihnen erwarten, ein Klavierkonzert zu spielen, wenn Sie nicht einmal wissen, wo die C-Taste liegt. … Man kann es lernen, aber man muß sich Zeit nehmen, die Grundlagen zu erlernen, zu üben und vielleicht auch ein paar Fehler zu machen. (Seite 46) … Sie können lebenslange Muster nicht über Nacht ändern, wie selbstzerstörerisch sie auch sein mögen. (Seite 197)“. In Kapitel 12 schreibt Forward, „In diesem und demfolgenden Kapitel werden wir auf einer eher emotionalen Ebene arbeiten. Daher ist es sehr wichtig, daß Sie sich Zeit lassen. Emotionale Arbeit kann sehr anstrengend sein, und ehe Sie es merken, suchen sie vielleicht nach Vorwänden, sie zu vermeiden. (Seite 209)“. Wir dürfen uns auch nicht von Rückfällen entmutigen lassen. „… Lassen Sie sich jedoch nicht entmutigen. Sie sollten, im Gegenteil, erwarten, ab und zu aus der Bahn geworfen zu werden. Es handelt sich um einen Prozeß, nicht um plötzliche Perfektion. Einige dieser Ziele sind vielleicht leichter zu erreichen als andere, aber alle sind realisierbar. Sie können das Kind in sich von der ewigen Strafe befreien. (Seite 226) … Erwachsenwerden ist kein gleichmäßig verlaufender Prozeß. Er führt sie vor und zurück, seitwärts, nach innen, außen und im Kreis herum. Erwarten Sie Verzögerungen, erwarten Sie Fehler. Sie werden niemals völlig frei von Angst, Unsicherheit, Schuldgefühlen und Verwirrungen sein, denn das ist niemand. Aber diese Dämonen werden Sie nicht länger beherrschen. Das ist der Kernpunkt. Wenn Sie mehr Kontrolle über die vergangene und gegenwärtige Beziehung zu Ihren Eltern gewinnen, stellen Sie fest, daß sich Ihre anderen Beziehungen, besonders zu sich selbst, dramatisch verbesssert. Sie haben dann vielleicht zum ersten Mal die Freiheit, Ihr Leben zu genießen. (Seite 310)“.

Für giftige Eltern

Kapitel 15 richtet sich inhaltlich an giftige Eltern. Forward schildert mehrere Fälle von Eltern, welche sich ihres Verhaltens bewußt wurden und einen Ausweg suchten. Oft waren giftige Eltern selbst Kinder von giftigen Eltern. Forward, „… der Teufelskreis giftigen Verhaltens kann sich über Generationen hinweg fortsetzen. (Seite 294) … Eine der wirksamsten Methoden, den Teufelskreis zu durchbrechen, besteht darin, für die Kinder emotional da zu sein. (Seite 295)“. Anhand ihrer Patientin Melanie, erzählt Forward, „Melanie erfuhr, daß sie Produkt mehrerer Generationen von distanzierten, hilflosen Müttern war. Es war aufregend, zuzusehen, wie sie die Verantwortung übernahm, diese Muster bei den eigenen Kindern nicht zu wiederholen. (Seite 296)“. Bei Holly, einer anderen Patientin, kam es oft vor, dass sie ihr Kind schlug. Forward, „Ich wußte, um tätsächlich den Teufelskreis zu durchbrechen, mußte Holly auf zwei Schienen arbeiten: Der Vergangenheit und der Gegenwart. … in den ersten Sitzungen konzentrierten wir uns fast ausschließlich auf Techniken, mit deren Hilfe sie die Impulskontrolle erlangen konnte, die sie so verzweifelt brauchte. Sie mußte zuerst wieder die Kontrolle über ihr Alltagsleben erlangen, über ihre Wut, ehe sie sich dem langwierigen Prozeß stellen konnte – das Leid ihrer Kindheit zu bewältigen. (Seite 298+299)“.

Ein wichtiger Hinweis ist gegen Ende des Kapitels zu finden. „Eines der Hauptkennzeichen giftiger Eltern ist, daß sie sehr selten, wenn überhaupt, für ihr destruktives Verhalten um Verzeihung bitten. Daher ist die Entschuldigung gegenüber Menschen, die Sie selbst vielleicht verletzt haben – besonders die eigenen Kinder – ein wichtiger Schritt beim Durchbrechen des Teufelskreises. (Seite 302)“.

Am Ende des Buches ist vom Verlag ein Verweis auf den Deuschen Kinderschutzbund e.V. eingebracht (Homepage). Forward schreibt im Buch über Selbsthilfegruppen für mißhandelnde Eltern – ob es so etwas auch in Deutschland gibt, weiß ich nicht.

Fazit

Forward’s Buch enthält keinerlei Tabellen, Grafiken oder abstrakte psychologische Abhandlungen. Es besteht aus verständlichen Erklärungen und vielen, vielen Fallbeispielen und Auszügen aus Therapiegesprächen, welche die Themen im Kontext des echten Lebens erklären. Ich bevorzuge diesen Aufbau gegenüber über-fachlichen psychologischen Erklärungen und Herleitungen, da dieser Aufbau viel zugänglicher ist und, bei diesem hoch-emotionalen Thema, gekonnt echte Emotionen vermittelt. Das Buch schafft es auch trotzdem das notwendige Wissen prägnant darzustellen und verliert sich nicht in den Dialogen.

Das Buch bedeutet mir sehr viel und begleitet mich seit längerer Zeit. Mir kommt es so vor, als ist es für viele ein Tabu-Thema über die negativen Seiten unserer Eltern zu sprechen. Sicherlich haben wir nicht alle Kinderschänder und Alkoholiker als Eltern gehabt. Trotzdem  ist dieses Buch wertesvoll für jedermann und -frau. Wir sind alle Kinder unserer Eltern und haben zwangsläufig mehr oder weniger größere Schäden aus unserer Kindheit bezogen. Dies werfe ich unseren Eltern nicht vor. Es ist nicht möglich, ein perfekter Vater oder Mutter zu sein – spätestens wenn man selbst in diese Rolle kommt, erkennt man dies oft auf schmerzliche Weise. Gerade dann, wenn wir selbst Eltern werden, ist es wichtig, dass wir den Teufelskreis des Leides durchbrechen und nicht unser Leid an unsere Kinder weitergeben. Und dazu ist es nie zu spät. Getanes oder empfangenes Leid kann nicht ungeschehen gemacht werden, aber es kann aufgearbeitet und manchmal auch wirklich verziehen und geheilt werden. Es ist hoffnungsvoll auf den Robert Betz Veranstaltungen auch Menschen im Alter von über 70 Jahre zu sehen, welche versuchen, ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben. Betz betont immer wieder, das es dazu nie zu spät ist.

Mein Dank für diesen unschätzbaren Buchtipp geht an meine liebe H.

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Eine Antwort zu Buch: Vergiftete Kindheit, von Susan Forward

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